Andacht zum Sonntag „Rogate“, 17. Mai 2020 von Pfarrer Ralph Haitz

„Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.“

(Psalm 66,20)


Ist Ihnen schon aufgefallen, dass in der Kirche manche Sonntage besondere Namen haben?
Der 5. Sonntag nach dem Osterfest hat im Mittelalter den lateinischen Namen „Rogate“ bekommen. Auf deutsch bedeutet „Rogate“: Betet! Zum Beten fordert dieser Sonntag also auf.

Doch irgendwie ist das eigenartig: Ein spezieller Sonntag im Jahr extra zum Beten. Beten Christenmenschen denn nicht an jedem Sonntag? Oder sogar an jeden Tag? Vielleicht sogar mehrmals täglich?

Dieser Sonntag im Jahr lässt mich grundsätzlich über das Beten nachdenken. Vielleicht, weil Beten doch nicht so selbstverständlich ist. Vielleicht, weil Beten gar nicht so leicht fällt.
Wie soll ich mit Gott reden, den ich doch gar nicht sehe?
Wie soll ich mit Jesus reden, der mich doch gar nicht hören kann?
Wie soll ich zum himmlischen Vater, zum allmächtigen Schöpfer, zum Herrn der Welt, zum barmherzigen Heiland oder auch zum unfassbaren Geist Gottes beten?

Not lehrt beten, sagt man.
Ob das wirklich stimmt? Lernen Menschen in Zeiten der Not zu beten? Wenn es einem selber schlecht geht, betet man dann? Bittet Gott um Hilfe? Fragt um Rat? Betet um Einsicht, Beistand oder Erlösung?

Oder wenn es anderen schlecht geht, bittet man dann Gott um Hilfe für andere, um Unterstützung, Heilung, Vergebung?

Und wenn es mir selber gut geht, betet ich dann? Danke für alles Gute? Danke für Freunde und Familie, für Partner und Nachbarn, für Essen und Trinken, für Frieden und Gesundheit?

Bis zu sieben Mal an jedem Tag beten christliche Mönche. Zu den festgelegten Gebetszeiten wird alles andere unterbrochen. Die Arbeit muss ruhen, alles Geschäftige, alles Hektische hat für eine Weile Pause. Zu diesen festen Gebetszeiten ist dann Zeit für Stille, Zeit zum Innehalten, Zeit zur Besinnung.

Vielleicht kommt es dann zu einem Dialog, zunächst nur in mir und mit mir selber. Vielleicht weitet sich dieser innere Dialog mit mir dann aber aus zu einem Gespräch mit Gott.

Weil das selbst für Mönche gar nicht so leicht ist, beten die Mönche auch gar nicht mit ihren eigenen Worten, sondern beten mit den uralten Worten der Psalmen aus der Bibel.
Alle Facetten des Lebens sind in diesen Psalmen enthalten: Höhen und Tiefen, Gutes und Schlechtes, tiefe Verzweiflung und überschäumender Jubel.
In diesen Psalmen der Bibel lässt sich manches von meinem eigenen persönlichen Leben wieder entdecken; von diesen fremden Worten angesprochen kann dann etwas in mir zum Klingen gebracht werden und in mir zur Resonanz kommen. Über mein eigenes Ich hinaus komme ich dann möglicherweise in einen Dialog mit Gott.
Indem ich bete, weitet sich mein Horizont und ich kann mit einer Welt in Berührung kommen, die weit über alles Alltägliche hinausgeht.

Weil diese besonderen Zeiten für jeden Menschen wertvoll sein können, sollten wir sie nicht nur den Mönchen überlassen. Allerdings sind sieben Auszeiten zum Gebet für die allermeisten Menschen im Alltag wohl etwas zu viel.

Darum erinnern uns die meisten Kirchenglocken nur drei Mal an jedem Tag daran, dass es Zeit für eine Auszeit wäre und damit Zeit für eine innere Einkehr oder ein Gebet.
Morgens, mittags und abends läuten die Kirchenglocken zu den jeweiligen Tageszeiten, damit wir sie als Gebetszeiten nutzen und zur Ruhe kommen.
Ein schönes Angebot ist das, alle Hektik und Betriebsamkeit für eine Weile zu unterbrechen, um zu sich und über sich hinaus zu kommen.

Ihr Pfarrer Ralph Haitz